Bad Brückenau, Frick, Göttingen, 21.07.2022
Seit Ende Februar 2022 herrscht Krieg in der Ukraine. Da es sich um eines der wichtigsten Exportländer für Bioprodukte handelt, werden die Lieferketten in Deutschland und Europa signifikant beeinträchtigt.
Wie gross die Auswirkungen genau sind und welche Lösungsmöglichkeiten es gibt, war Thema des gemeinsamen Online-Seminars der Gesellschaft für Ressourcenschutz (GfRS), des Forschungsinstituts für Biologischen Landbau (FiBL) und des Büros Lebensmittelkunde und Qualität GmbH (BLQ) am 19. Juli 2022.
Einleitend schilderte Dr. Alexander Lissitsa, Präsident des wichtigsten Vereins der Ukrainischen Agrarindustrie, dem «Ukrainian Agribusiness Club» (UCAB), wie sich der Krieg auf Produktion, Logistik und Export in der konventionellen und ökologischen Produktion auswirkt. Die Erntemengen bei Mais, Sojabohnen, Sonnenblumen und Weizen, den wichtigsten landwirtschaftlichen Exportprodukte der Ukraine, werden 2022 zwischen 20 bis 40% niedriger liegen. Allein den Liquiditätsreserven aufgrund der ausserordentlich guten Ernte 2021 ist es zu verdanken, dass die meisten landwirtschaftlichen Betriebe noch operativ bleiben können. Noch kritischer ist die Blockade oder Zerstörung fast aller Hafenanlagen. Bis zum Krieg konnten jährlich rund 140 Millionen Tonnen Agrarprodukte über die ukrainischen Häfen umgeschlagen werden. Aktuell sind es nur noch 25 Millionen Tonnen, die über nur noch einen offenen Hafen, über LKW und über die Bahn exportiert werden müssen. Diese Situation wird dazu führen, dass die Betriebe die Restmengen aus der Ernte 2021 nicht vermarkten können und zusätzlich noch die Ernte 2022 eingelagert werden müsste. Lagermöglichkeiten stehen den Betrieben jedoch nicht zur Verfügung. Die einzige Möglichkeit sieht Lissitsa in der Wiederöffnung und dem Wiederaufbau der Seehäfen. Die Probleme seien der EU bekannt, eine Lösung und finanzielle Unterstützung sind aber noch nicht in Sicht.
Auch bei der Qualitätssicherung und Zertifizierung von Bioprodukten ist die Situation angespannt. Sergiy Galashevskyy, Geschäftsführer der grössten ukrainischen Zertifizierungsstelle, Organic Standard, berichtete, dass weiterhin Bioprodukte exportiert werden, aber fast ausschliesslich via LKW oder Bahn. Unterstützend wirke, dass die EU die Zertifizierung von Bioprodukten aus der Ukraine vorübergehend vereinfacht hat, ohne dass damit bisher ein wesentlicher Qualitätsverlust der Kontrollen verbunden war, so Galashevskyy. In den Gebieten der Ukraine, die durch Kriegshandlungen unmittelbar betroffen sind, können nur unter grossen Schwierigkeiten Vor-Ort-Kontrollen durchgeführt werden.
Anastasiia Bilych, Leiterin der Marketingabteilung von Arnika Organics, dem grössten Bioexporteur in der Ukraine, berichtet, dass nur mit Hilfe von logistischer Unterstützung von Importeuren Ware aus dem Land geschaffen werden kann. LKWs, Lastwagenfahrer und Bahnwaggons sind gegenwärtig in der Ukraine so knapp, dass sich die Logistikkosten für Arnika mehr als verdoppelt haben. Importeure können zum Beispiel unterstützen, wenn sie eigene Waggons oder LKWs an die Grenze zur Ukraine schicken. Bilych berichtete auch, dass Waren von Arnika, die in Kherson gelagert wurden, von den russischen Besetzern blockiert wurden und deren Verbleib völlig ungewiss ist. Sie appelliert deshalb, dass Importeure von Bioware aus Osteuropa deshalb besonders genau auf die Lieferscheine und Herkünfte bis zurück zum Feld schauen sollen, damit gestohlene Bioprodukte aus der Ukraine keinen Markt finden.
Alle Referent:innen gehen von einer weiteren Verschärfung der Situation aus, je länger der Krieg andauert. «Erst 2023 werden wir die wirklichen Konsequenzen erfahren», so Lissitsa. BLQ, FIBL und GfRS planen ein Update zur Lage in der Ukraine im Winter 2022/23.
Ansprechpartner: Toralf Richter (Toralf.Richter@fibl.org), Renate Dylla (Renate.Dylla@bl‑q.de), Jochen Neuendorff (Jochen.Neuendorff@gfrs.de)