Ein Kommentar über Pestizidrückstände und den Prozessansatz der Bio-Branche von Dr. Alexander Beck (BLQ GmbH) und Dr. Jochen Neuendorff (GfRS) in der zweiten Ausgabe in 2021 der Fachzeitschrift Ökologie&Landbau
Öko-Test: Auch Biotee enthält Pestizide“, titelte eine Verbraucherplattform in ihrem Onlinemagazin. Untersucht wurden Kräutertees aus Fachhandel und Discount, wobei auch einige Ökoteesorten mit Pestiziden belastet waren. Was bedeutet das? Können wir uns unsere Anstrengungen schenken? Höhere Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität, mehr Klima- und Wasserschutz, Achtung des Tierwohls, weniger Zusatzstoffe – alle gesellschaftlichen Leistungen des Ökolandbaus für die Katz?
Wollen Verbraucher*innen wirklich nur das eine – das pestizidfreie Bioprodukt?
Viele Untersuchungen zeigen, dass Bioerzeugnisse oft keine, und wenn doch deutlich geringere Spuren von Pflanzenschutzmitteln als konventionelle Vergleichsprodukte aufweisen. Der Prozessansatz der Nichtanwendung solcher Stoffe im Ökolandbau wirkt. Sicher ist jedoch auch: Ökoware, in der Spuren von Pestiziden gefunden wurden, ist als Bioprodukt oft nicht mehr handelbar. Ihren amtlichen Status als Bioerzeugnis behält sie nach oft langwierigen Recherchen trotzdem: Weil sich Biolandwirt*innen und – Verarbeiter*innen an die Regeln der Bioverordnung gehalten haben. So entsteht ein hoher wirtschaftlicher Schaden für die Biobranche, durch den hohen Arbeitszeitbedarf für die Recherchen, durch Lieferverzögerungen und durch die konventionelle Vermarktung oder gar Vernichtung der Partien zum Schluss. Keine Versicherung springt ein, eine Haftung kann nicht eingefordert werden.
Der Handel setzt in seinen Kontrakten Grenzwerte, um Spurenbefunde und damit Probleme zu vermeiden. Die für die Biokontrolle zuständigen Behörden gehen jedem Rückstandsfund intensiv nach, weil es die EU-Kommission angeblich so erwartet. Es wird Unsinniges beprobt, nämlich fast immer nur das Bioprodukt selbst – eine begleitende Probenahme im Prozess findet kaum statt. Die Analytik des Stofflichen steht
im Vordergrund, die Frustration über nicht mehr nachvollziehbare Ursachen für die Analysewerte steigt. Ganzheitlich denken hatte einmal etwas mit nachhaltigem Wirtschaften und Einklang mit der Natur zu tun, aber nichts mit Positivbefunden.
Große öffentliche Erwartungen
Wie konnte es dazu kommen? Der Prozessansatz der Biobranche war immer das zentrale Element ihres Qualitätsverständnisses. Das, was gesetzeskonform erzeugt und verarbeitet wurde, ist ein „Bioprodukt“. Mit der Agrarwende Anfang des neuen Jahrtausends wurde Bio plötzlich zur universellen Lösungsstrategie für eine bessere Welt. Bio wurde zum Versprechen für „ohne Pestizide“, „ohne Massentierhaltung“, „ohne Gentechnik“, „ohne Nano“, „ohne soziale Ausbeutung“ und „ohne Allergene“.
Die öffentlichen Erwartungen waren also groß, und eines wurde der Öffentlichkeit nach den ersten kritischen Presseberichten rasch klar: Die Biokontrolle– angelegt als Verfahrensprüfung – war scheinbar nicht ausreichend streng. Gespräche zwischen Kontrolleur*in und Biobäuerin oder ‑bauern auf dem Acker, um die Plausibilität eines Produktionssystems zu verstehen? Hinterlegt mit der Durchsicht von durch diese Biobäuerin oder diesen Biobauern selbst angefertigten Dokumentationen? Das klingt ziemlich lasch – im Vergleich zu Probenahmen und Analyseergebnissen aus einem hoheitlich akkreditierten Labor, vordergründig ganz eindeutigen, harten Zahlenwerten. Die Analytik gewann immer mehr Raum, sowohl in den Kontrakten der Handelspartner*innen als auch in der Biokontrolle.
Die menschliche Sehnsucht nach Einfachheit führte dazu, dass heute jeder Positivbefund misstrauisch von allen Seiten beäugt wird. Dabei ist es ziemlich egal, ob es sich um Produkte wie Tee oder Kräuter handelt, in denen sich Pestizide durch den Trocknungsprozess anreichern, oder frische Küchenkräuter, die aufgrund ihrer rauen Blattoberfläche und ihres Gehalts an ätherischen Ölen wie ein Staubsauger bestimmte Pestizide aus der Luft herausfiltern. Kompetente Beurteilung von Rückstandsfunden: Fehlanzeige. Im Nebel der entstehenden Beurteilungsspielräume und der Fokussierung auf Analyseergebnisse können sich die wahren Betrüger*innen, die verbotenerweise bei Nacht und Nebel spritzen und auch wissen, wie man Spuren von Rückständen vermeidet, gut verstecken.
Solange die Umstellung auf 100 Prozent Biolandwirtschaft noch nicht vollzogen ist, werden wir auch Rückstände der konventionellen Landwirtschaft in Biorohstoffen finden. Zu Recht hat die leidenschaftlich geführte Debatte um die Grenzwerte in der neuen Bioverordnung gezeigt, dass Grenzwerte Bio vollkommen verändern können. Schon heute ist es so, dass im Handel fast nur noch über Grenz- oder Orientierungswerte für Pestizide verhandelt wird und erhebliche Ressourcen im Kontrollsektor in die formalisierte Aufklärung von Rückstandsfunden ohne Ursachenermittlung investiert werden. Das ist für die ökologische Landwirtschaft und für Biolebensmittel eine Katastrophe. Warum? Weil der Fokus verschoben wird: weg vom Prozess hin zu Endprodukteigenschaften.
Es gilt, künftig die Analytik als einen Beitrag in der Qualitätsbewertung des Bioproduktionsprozesses zu begreifen. Die Analytik kann helfen, Prozessinformationen zu verifizieren. Der Werdeprozess von Bioprodukten muss wieder eine Rolle spielen – also das, was die Ökolebensmittelwirtschaft auszeichnet und so anders und damit erfolgreich macht. Ein solcher Ansatz integriert auch Menschen und Systeme, die auf das konventionelle Qualitätskonzept basierende Endprodukteigenschaften verinnerlicht haben.
Es geht um viel
Was müsste geschehen? Wir schlagen vor, dass alle Unternehmen der Biobranche Verträge und Spezifikationen für ihre Lieferant*innen daraufhin überprüfen, ob diese Elemente der Prozessqualitäts-Unterminierungen beinhalten, und über diese Passagen mit ihren Handelspartner*innen sprechen – mit dem Ziel, diese zu streichen. In der Biokontrolle müssen künftig schwerpunktmäßig nicht mehr wie heute Produkte, sondern Prozessproben entnommen und untersucht werden. Das sind zum Beispiel Blattproben, Futtermittelproben, Proben aus Pflanzenschutzmittelspritzen oder Staubproben aus Lagerstätten für Bioprodukte. Das Ziel ist nicht die Rückstandsfreiheit von Bioprodukten, sondern deren Authentizität. Diese Methoden sollen die Überprüfung der Einhaltung von Bioproduktionsvorgaben neben anderen Kontrollinstrumenten unterstützen.
Es geht um viel: Wenn das Grundkonzept von Bio ausgehöhlt wird, kann es auch nicht mehr zur Marktdifferenzierung genutzt werden. Um diese Differenzierung zu halten, muss die Biobranche weiter vorangehen und um die Grundsätze und Prinzipien ringen. Es ist Zeit, sich zu positionieren. Lassen Sie uns Bio und dessen Werte schlagkräftig und zukunftsfähig definieren!